Das Evangelium vom kommenden Sonntag ist eines, um sich die Zähne daran auszubeißen:
Liebet eure Feinde; Tut denen Gutes, die euch hassen! Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen! Dem, der dich auf die eine Wange schlägt, halt auch die andere hin und dem, der dir den Mantel wegnimmt, lass auch das Hemd!… (Lk 6,27-38)
Wer kann das leisten? Wer kann einem Feind, jemand, der einem übel mitgespielt hat, der einen zutiefst gekränkt oder verletzt hat, Gutes tun? Unmöglich! ?
Es gibt Menschen, die das können – so wie der südafrikanische Bürgerrechtler und Antiapartheitskämpfer Nelson Mandela, der am 11. Februar 1990 nach 27 Jahren Haft aus dem Gefängnis entlassen wurde. Er rief seine Anhänger nicht, wie befürchtet, zu Rache für die erlittene Unterdrückung auf, noch nicht mal zu Gerechtigkeit, nein, er rief zur Versöhnung auf! Und durch sein Beispiel und sein Charisma gelang es ihm, eine ganze Nation mitzunehmen auf den Weg der Versöhnung zwischen Schwarz und Weiß.
Für mich aber, als normalsterbliche Durchschnittschristin, ist diese Herausforderung zur Barmherzigkeit zu groß.
Aber die Worte Jesu damit einfach zur Seite zu schieben, als nicht lebbar, wäre zu einfach.
Und als wenn Jesus für alle, die sich komplett überfordert fühlen mit diesen Geboten, etwas einfügen wollte, das uns das Ganze etwas leichter macht, sozusagen als „Barmherzigkeit für Anfänger“, steht weiter unten im Text:
„Und wie ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das tut auch ihr ihnen!“ (Vers 31)
Behandle deinen Mitmenschen so, wie du selbst behandelt werden möchtest! Das ist schon mal ein Anfang. Das kann man hinkriegen…
Und dann als weiteren Schritt vielleicht: einem anderen freundlich zugewandt begegnen, bevor dieser zu mir freundlich ist – sozusagen als Vorschusslorbeeren.
Und wenn ich erlebe, welch positive Wirkung das haben kann, bekomme ich vielleicht auch den Mut und die Kraft, dort, wo mir böse mitgespielt wird, nicht böse zurückzuschlagen.
Denn der für mich entscheidende Satz steht noch weiter unten:
„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“ (Vers 36)
Gott ist zuerst barmherzig! Wir müssen uns diese Barmherzigkeit nicht erst verdienen, wir müssen nicht zuerst etwas leisten – nein, Gott steht bedingungslos zu uns.
Ein bisschen wie in dem Lied „Zeugnistag“ von Reinhard Mey, in dem er erzählt, wie er als Junge die Unterschrift seiner Eltern unter einem katastrophalen Zeugnis gefälscht hat. Als dieser Betrug aufflog und seine Eltern zum Rektor gerufen wurden, um ihren missratenen Sohn abzuholen, schimpften sie ihn nicht aus, sondern bestätigten die Authentizität ihrer Unterschriften und nahmen ihn einfach mit nach Hause.
Gottes Barmherzigkeit ist gesetzt, auf die dürfen wir uns getrost verlassen und dadurch Schritt für Schritt an unserer eigenen arbeiten.
Beate Czabaun